Für Nelly Sachs
Nicht die Erde hat sie verschluckt. War es die Luft?
Wie der Sand sind sie zahireich, doch nicht zu Sand
sind sie geworden, sondern zu nichte. In Scharen
sind sie vergessen. Häufig und Hand in Hand,
wie die Minuten. Mehr als wir,
doch ohne Andenken. Nicht verzeichnet,
nicht abzulesen im Staub, sondern verschwunden
sind ihre Namen, Löffel und Sohlen.
Sie reuen uns nicht. Es kann sich niemand
auf sie besinnen: Sind sie geboren,
geflohen, gestorben? Vermißt
sind sie nicht worden. Lückenlos
ist die Welt, doch zusammengehalten
von dem was sie nicht behaust,
von den Verschwundenen. Sie sind überall.
Ohne die Abwesenden wäre nichts da.
Ohne die Flüchtigen wäre nichts fest.
Ohne die Vergessenen nichts gewiß.
Die Verschwundenen sind gerecht.
So verschallen wir auch.
* * *
For Nelly Sachs
It wasn’t the earth that swallowed them. Was it the air?
Numerous as the sand, they did not become
sand, but came to naught instead. They’ve been forgotten
in droves. Often, and hand in hand,
like minutes. More than us,
but without memorials. Not registered,
not cipherable from dust, but vanished—
their names, spoons, and footsoles.
They don’t make us sorry. Nobody
can remember them: Were they born,
did they flee, have they died? They were
not missed. The world is airtight
yet held together
by what it does not house,
by the vanished. They are everywhere.
Without the absent ones, there would be nothing.
Without the fugitives, nothing is firm.
Without the forgotten, nothing for certain.
The vanished are just.
That’s how we’ll fade, too.
Hans Magnus Enzensberger (Germany, 1929 -)
Source: Poetry Foundation, 1998, Contemporary German Poetry, double issue – translation by Rita Dove